Wenn es um nationale Sicherheit geht, darf die US-Regierung alles

Schizophrenes Amerika: Zwei Magazine befassen sich schwerpunktmäßig mit Überwachung und Spionage.

Gewöhnlich geht das Misstrauen der Amerikaner gegen ihre Regierung, also die Machtzentrale in Washington, tief. Erst im jüngsten Kongresswahlkampf haben vor allem die Republikaner dieses Misstrauen wieder geschürt, so gut sie konnten – und damit am 4. November Stimmen von Bürgern geholt und beide Häuser des Kongresses erobert. Aber erst vergangene Woche zeigte sich wieder einmal die ganze Schizophrenie vieler US-Amerikaner und insbesondere der Grand Old Party. Denn als es darum ging, dem schrankenlosen Herumschnüffeln der National Security Agency im Leben der US-Bürger gewisse gesetzliche Beschränkungen durch den Senat aufzuerlegen – etwa beim Sammeln von Telefondaten –, sagten die Republikaner dezidiert Nein. Aus Gründen der „nationalen Sicherheit“, eh klar. Alle Welt weiß inzwischen aus unzähligen Hollywoodfilmen, dass unter diesem Prätext den amerikanischen Sicherheitsbehörden mittlerweile fast alles erlaubt wird.

Früher, so schreibt Professor David Price im neuesten Sonderheft von „Le Monde diplomatique“ zum Thema Überwachung, galt „abhören – selbst wenn es sich gegen Kriminelle richtete, als absolut unamerikanisch“. Zu sehr war seit jeher das Misstrauen gegenüber solchen Praktiken der Regierung ein Bestandteil der politischen Kultur der USA gewesen. Aber diese Kultur ist wohl mit dem Stichtag 11. September 2001 endgültig verludert: „Die US-Amerikaner haben sich inzwischen so sehr mit der permanenten Überwachung arrangiert, dass ihnen nur noch die Wahl zwischen Gedächtnisverlust und Paranoia bleibt“, schreibt Price.

Sein Beitrag ist noch einer der besten in diesem Heft, das insgesamt eine ziemliche Schlagseite hat: Von 33 Textbeiträgen beschäftigt sich ein Drittel zumeist in überkritischen Tönen mit den Abhörpraktiken in den USA. Kein einziger Beitrag aber befasst sich mit Russland, wo eine Geheimdienstlerclique das ganze Land im Würgegriff hat; kein einziger Artikel hat Frankreich im Blickfeld, das in Sachen Geheimdienste auch kein Ponyhof ist.

In zwei Artikeln wird ein Loblied auf Whistleblower wie Edward Snowden gesungen, der das Ausmaß der weltweiten Überwachung durch die NSA enthüllte. Das ist o.k., aber wann taucht endlich einmal ein russischer, chinesischer, britischer oder auch deutscher Edward Snowden auf? Gerade der Fall Snowden zeigt erneut, dass es im US-System doch gewisse interne Korrektive gibt.

Auch die Berliner Fachzeitschrift „Internationale Politik“ hat in ihrem Heft 6/2014 dem Thema Spionage einen Schwerpunkt gewidmet. In vier Beiträgen konzentrieren sich die Autoren auf die Arbeit von Geheimdiensten in einer immer komplexer werdenden Welt. Peter Neumann vom King's College in London kommt da zu der hochinteressanten Beobachtung: „Staaten, die keine übermächtigen Geheimdienste haben, funktionieren im Großen und Ganzen besser. Zudem schützt es vor Paranoia. Wir wissen ja aus der Geschichte, dass gerade die Geheimdienste, die glauben, alles zu wissen, letztlich nichts verstehen.“

In einem weiteren Beitrag wird untersucht, wie die Geheimdienste inzwischen immer mehr die sozialen Netzwerke für Aufklärung nutzen, um soziale Trends aufzuspüren und sich ein Bild vom vorherrschenden Meinungsklima in der Gesellschaft zu machen. Für ein stimmiges Gesamtbild einer Gesellschaft aber ist das zu wenig. „Dafür braucht man beides: Man muss wissen, was innerhalb der Gesellschaft brodelt, und man muss wissen, was auf höchster Ebene zwischen den Entscheidungsträgern besprochen wird.“

Emails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2014)

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